Kerstin, 53, lebt, zusammen mit ihrem Mann Mot, dem 14-jährigen Sohn Yanis und der 8-jährigen Labradordame Paula, in Bamberg. Vor 10 Jahren haben sie ihr über 100 Jahre altes Haus gekauft, das sie treffend als „Villa Kunterbunt“ bezeichnet.
Kerstin, die Bekleidungstechnische Assistentin gelernt und Sozialpädagogik studiert hat, arbeitet als Arbeitstherapie-Anleiterin in einer Tagesstätte für psychisch und Suchtkranke. Die Textilwerkstatt hat sie mit aufgebaut.
Ihr Hobby: alles rund ums Kreativsein, mit Schwerpunkt textile Handarbeit wie Nähen, Häkeln, Stricken, Weben oder Sticken. „Meine Kreativität ist einem stetigen Wandel unterworfen. Ich habe großes Interesse an neuen Ideen und ich mag in keiner Schublade bleiben.“
Ich bin fasziniert von Kerstins wunderschönem Haus und der Buntheit, die alles übertrifft, was ich bisher an bunt kannte! Hereinspaziert in Kerstins Villa (mehr Einblicke auf ihrem Insta-Account jansschwester)!
Alle Fotos @ Kerstin / jansschwester
Ihr lebt in einem über 100 Jahre alten Haus – wie toll! Wie seid ihr da dran gekommen?
Wir fanden das Haus tatsächlich auf Immoscout24 am Tag der Veröffentlichung und hatten zwei Tage später einen Termin, nach dem wir sofort zugesagt haben. Davor haben wir allerdings jahrelang erfolglos gesucht. Unser Haus steht in einem Viertel, in das ich eigentlich nicht ziehen wollte. In der Anzeige wirkte das Haus aber so charmant, dass wir gleich eine Besichtigung vereinbarten. Und als wir das erste Mal die Straße sahen und das liebevoll restaurierte Haus mit dem schönen Garten, waren alle Vorbehalte sofort über Bord! Wir lieben unsere Ecke inzwischen sehr und sind gesegnet mit ein paar extrem netten Nachbarn.
Bei mir sagen Gäste immer „Oh, schön bunt!“ – aber bei euch ist das eine andere Liga, wow! Hast du schon immer eine „Vorliebe für Bunt“ gehabt?
Oh ja, unsere Gäste, die das Haus zum ersten Mal sehen, sind meist sehr geflasht. Wir hatten sicherlich schon immer ein Faible für ungewöhnliche Einrichtung, aber es gab auch schon gedecktere Phasen. Ich glaube, im Moment ist unser Bunt-Zenit langsam überschritten, ich empfinde gerade wieder eher eine dezentere Stimmung. Aber eine Prise bunter Kitsch oder plakativer Sixty Style wird uns noch länger begleiten.
Du arbeitest seit 10 Jahren in einer Tagesstätte für Sucht- und psychisch kranke Menschen als Anleiterin und Designerin in einer Textilwerkstatt. Wie sieht ein typischer Tag dort aus?
Ich habe einen Teilzeitjob und mein Tag im IdeenWerk startet in der Regel um 9.00 Uhr. Wir haben derzeit knapp 20 Klienten, von denen aber nicht immer alle da sind und auch nicht alle sind in der Nähwerkstatt. Aber diejenigen, die gerne nähen möchten, dürfen verschiedene Projekte, die wir oft gemeinsam entwickeln, in ihrem Tempo nähen. Ich bringe den Klienten, falls nötig, das Nähen oder andere textile Techniken bei. Meist ist die Stoffauswahl von mir, und ich bestimme auch die Art der Produkte. Die Schnitte erstellen wir ebenfalls selbst. Da wir alle fertigen Produkte in einem Laden in Bamberg und auf Märkten verkaufen, achte ich auf eine Linie und auch auf Trends.
Unser Material und die vielen Nähmaschinen beziehen wir überwiegend aus Spenden. Bei uns ist fast alles Upcycling und es gibt nur Unikate. Wir haben auch viele andere Angebote, wie z.B. Kochen, Vorlesen, Spaziergänge, Ausflüge und und und… Das machen aber meine zwei Kollegen. Ich biete neben dem Nähen darüber hinaus alle möglichen anderen kreativen Techniken an, von Häkeln, Stricken, Sticken, Malen... Das wäre ein eigener Artikel, wenn ich das ausführlicher behandeln würde. Manche unserer Werke sind bei Instagram zu sehen. Ich liebe meinen Job, er macht mir großen Spaß und Freude! Es ist sicherlich nicht immer einfach, aber es erfüllt mich trotzdem sehr.
Davor hast du 17 Jahre in einer Stickfabrik gearbeitet, interessant! Was waren dort deine Aufgaben?
Da habe ich überwiegend am Computer mit einer speziellen Software Stickprogramme für computergesteuerte Stickmaschinen erstellt. Ich habe eine Ausbildung zur Bekleidungstechnischen Assistentin und nach meiner Ausbildung in der Stickereifabrik zusätzlich den Umgang mit dem Computerprogramm und den Stickmaschinen gelernt. Das war die Zeit, wo die Produktion der Kleidung immer mehr ins Ausland verlagert wurde und die Technisierung zunahm. Mein damaliger Arbeitgeber wollte seine Produktionsstätte in Deutschland unbedingt erhalten und weigerte sich, die Produktion ins Ausland zu verlagern. Ein Balanceakt… sein Zugeständnis an die Modeindustrie war die Lieferung von Stickdateien. Die Muster-Stickereien wurden dann meist bei uns erstellt, die Prototypen und Messemuster auch, und dann konnte der Kunde das Programm kaufen, um im Ausland die Produktion zu veranlassen. Ich war mit unseren Kunden im engen Kontakt, war auf manchen Messen und oft auch kreativ tätig. Nach der Geburt meines Sohnes war mir dann aber nach Veränderung, so kam ich zu meinem jetzigen Job.
Hattest du schon immer eine Leidenschaft für Möbel und das Einrichten?
Ja, irgendwie schon. Als Mädchen hatte ich mir eine hübsche Tapete mit Orangen ausgesucht und meine Eltern haben alte Möbel mit DC Fix beklebt, da es eine Low-Budget-Lösung sein musste. Später habe ich die Rauhfaser mit einem Baum mit Dispersionfarben und Wasserfarben bemalt. Meine möblierte Studentenbude habe ich zum Leidwesen des Hausmeisters ausgeräumt, um meine eignen Möbel unterzubringen. Und weil ich eigentlich immer ein eingeschränktes Budget hatte, habe ich stets versucht, vieles selbst zu machen, zu improvisieren und eher individuell zu gestalten. Stichwort Sperrmüll, mein Eldorado… bis heute. Viele unserer Möbel sind vom Sperrmüll bzw. gebraucht gekauft und oft wurden sie umgestaltet. Mir sind Dinge mit Geschichte sehr sympathisch und es muss nicht teuer oder trendy sein — und schon gar nicht von der Stange.
Wie würdest du deinen Wohnstil beschreiben?
Das finde ich ehrlich gesagt eine schwierige Frage, da ich keine spezielle Stilrichtung anstrebe, sondern eher versuche verschiedene Stile zu mixen. Zur Zeit gibt es hier im Haus auch einen Wandlungsprozess. Es gibt diese ganz bunten, teilweise kitschigen Ecken und in anderen Bereichen habe ich gerade wieder mehr auf Naturmaterialien und weniger Farbe umgestellt. Das Haus ist ständig im Wandel. So wie wir auch. Das möchte ich gerne abbilden. Ich liebe kleine Details, habe ein Faible für eine Prise Kitsch, gerne mit einer Note Poesie. Aber auch meine Liebe zu den 70ern ist überall zu entdecken. Gemixt mit alten Schränken und vielen Textilien ergibt sich hier ein buntes Sammelsurium — oder vielleicht eine Villa Kunterbunt.
Interessierst du dich für Kunst? Hast du einen Lieblingskünstler?
Ja, ich interessiere mich sehr für Kunst. Ich brauche immer wieder einmal einen Museumsbesuch, oder ähnlichen Input als Inspirationsquelle. Moderne Kunst liegt mir sehr, da lasse ich mich immer gerne überraschen. Ich mag ganz viel verschiedene Kunst und kann mich deshalb für keinen Lieblingskünstler entscheiden. Aber es gab eine Lieblingsausstellung, die ich vor zwei Jahren in Amsterdam sehen durfte. Das war im Stedelijk Museum eine Ausstellung von Studio Drift. Das war so atemberaubend schön und so wahnsinnig faszinierend. Die totale Begeisterung hält bis heute an! In meinem Insta-Account gibt es eine Story in meinen Highlights davon. Unbeschreiblich…
Liest du Wohnzeitschriften?
Ja, manchmal, ich liebte früher die „Living and More“ und die „We love living“. Da habe ich jede Ausgabe verschlungen und fand darin endlos Inspiration. Heute habe ich keine vergleichbare Zeitschrift mehr. Ich blättere gerne mal hier und da, und das Couch Magazin gucke ich gerne an, da gibt es immer wieder Wohnungen zu sehen, die einen eigenen Stil haben. Die eher neuen Zeitschriften wie „Cosy“ und „Sense of Home“ finde ich teils auch noch ganz interessant.
Welches ist dein Lieblingsmaterial?
Ganz eindeutig Textilien. Das hängt sicherlich mit meiner Ausbildung und meinen Jobs zusammen, die immer mit Textilien zu tun hatten und haben… Aber schon als Kind war ich glücklich, wenn ich aus den Stoffresten meiner Mutter Puppenkleider machen durfte (die erste Kollektion war übrigens geklebt, weil ich noch nicht nähen konnte).
Ich finde, dass man mit Textilien einen Raum so sehr und so schnell gestalten kann. Vorhänge, Decken und Kissen muss ich ständig ändern, damit kann ich immer ganz flink einen neuen Kontext herstellen, das mag ich sehr. Viele Textilien hier sind Vintage. Ich stöbere sehr gerne auf Flohmärkten nach alten Stoffen. Und ich fertige natürlich auch gerne selbst Kissen etc. an.
Welche deine Lieblingsfarbe?
Bunt. Aber Rosa, Blau, also Royalblau und Nachtblau, Schwarz und Gold sind jetzt gerade besondere Favoriten.
Welche Wohnanschaffung steht ganz oben auf deiner Liste?
Wir haben wirklich alles, was man braucht, und auch gar keinen Platz mehr, aber ich träume seit Jahren von einem neuen Tisch… und einem Tulip Armchair. Nicht unbedingt das Original, eine Kopie würde mir auch schon gefallen. Aber ich warte noch darauf, dass sich was ergibt.
Wo kaufst du deine Möbel?
Also wie ja schon beschrieben, ist vieles hier vom Sperrmüll, aus Sozialkaufhäusern und Trödelläden. Manches haben wir von Freunden oder Familie „geerbt“, Und die paar neuen Möbel kommen von Ikea oder Maison du Monde. Unser Bett haben wir hier in Bamberg in einem Laden gekauft, der nur Ökomöbel und Bettwaren anbietet. Das Hochbett meines Sohnes hat mein Mann selbst gebaut.
Hast du ein Lieblingsmöbel bei dir zu Hause?
Ach, irgendwie mag ich sie alle. Und doch sind sie alle nur Möbel, die mich im Moment begleiten…
Wo ist dein Lieblingsort in der Wohnung?
Wenn ich in meinem Arbeitszimmer kreativ werkeln kann, bin ich glücklich! Aber seit ich eine Wand im Gästezimmer von der Rauhfaser, mit der das ganze Haus vom Vorbesitzer tapeziert wurde, befreit habe, ist dieses Zimmer mein liebstes.
Ich liebe die völlig veränderte Atmosphäre durch die Wand, auf der noch Spuren von der ganz ursprünglichen Wandgestaltung von vermutlich über 100 Jahren zu sehen sind.
Es juckt mich gewaltig in den Fingern. Nicht alle Wände sind Original erhalten, aber bei einigen vermute ich noch die Möglichkeit, auf den alten Putz zu stoßen. Ich werde da auf jeden Fall noch weitere Versuche unternehmen.
Wo ist dein Lieblingsort in Bamberg?
Die gesamte Innenstadt Bambergs, die wir schnell erreichen können, ist richtig hübsch und es gibt noch ein paar nette Läden und viele tolle Cafés und Kneipen. Dann gibt es noch einen schönen Stadtpark mit Flussbad, und viel hübsche angrenzende Natur. Da wir ja einen Hund haben, nutzen wir die vielen idyllischen Spaziermöglichkeiten hier.
Wohin wolltest du schon immer mal reisen?
Nach New York, aber das habe ich bisher irgendwie noch nicht hinbekommen.
Welche Musik hörst du zur Zeit gerne?
Ich höre eher ruhige bis melancholische Musik. Ich bin sehr großer Fan von Nick Cave. Aber auf meiner Party-Liste findet sich auch Earth, Wind and Fire, Großstadtgeflüster oder Vicky Leandros etc. Ich mag auch da viel Verschiedenes und freue mich immer über Neuentdeckungen.
Hast du einen Lieblingsschriftsteller? Welche Bücher kannst du empfehlen?
Ja, John Irving. Von ihm liebe ich alles, und ich hoffe sehr, dass es bald mal wieder was von ihm gibt. Ich habe aber natürlich auch viele andere gute Bücher gelesen. In den letzten Jahren fand ich Bücher von Dörte Hansen, Mariana Leiki oder Celeste Ng besonders beeindruckend.
Durch eine Krebserkrankung hast du dich intensiv mit dem Themen Sport, Entspannung und Ernährung befasst – du bezeichnest sie als deine neuen Hobbies. Was machst du heute anders als früher?
Als ich die Diagnose bekam, habe ich sofort meine Ernährung umgestellt. Im Laufe der Zeit habe ich dann immer wieder neue Erkenntnisse gewonnen, und versucht meine Ernährung anzupassen. Das Buch „Der Ernährungskompass“ von Bas Kast hat mich sehr inspiriert. Ich finde es sehr spannend, dass ich mich durch meine Ernährungsumstellung viel wohler fühle, und mich von meinen Gewichtsproblemen verabschiedet habe, ganz ohne Kalorienzählen. Ich folge auf Instagram mittlerweile Foodblogs, wie z.B. Syl loves. Bei ihr habe ich auch einen Fermentier Kurs gemacht, was ganz toll für mich war.
Aber ich bin erst am Anfang meines Weges, da werde ich sicherlich in der nächsten Zeit noch weiter dran arbeiten. Ebenso an meiner sportlichen Betätigung, die gerade auch etwas zu kurz kommt. Zu meinem Yoga-Kurs schaffe ich es glücklicherweise fast immer, aber eigentlich würde ich gerne regelmäßig Nia machen, Ergometer und Schwimmen. Vielleicht wird es jetzt im neuen Jahr wieder einfacher.
Ein Waldspaziergang mit unserer Hündin Paula findet aber glücklicherweise fast täglich statt. Ansonsten versuche ich Meditation in meinen Alltag einzubauen, und ich achte besser auf genug Schlaf. Ich habe begriffen, dass ich auf mich acht geben muss. Es gelingt mir nicht immer, aber ich bleibe dran und versuche Verhaltensmuster, die mir nicht gut tun, zu ändern.
Was sagt euer 14-jähriger Sohn zu seiner bunten Wohnumgebung? Sieht sein Zimmer anders aus?
Er ist es ja nicht anders gewöhnt, aber er hat sich in seinem Zimmer mittlerweile auch abgegrenzt. Wir haben das Zimmer vor einiger Zeit gemeinsam umgestaltet. Ich mag es richtig gerne, er hat ein cooles Sofa, einen alten Spind und einen alten Ledersessel. Eine Wand ist dunkelgrau und die Klamotten hängen lässig auf einer Kleiderstange. Schreibtisch, PC und Bildschirm fanden unter dem Hochbett Platz. Wir alle mögen auch diesen Style.
Vielen Dank, liebe Kerstin, für das Interview und die Bilder!
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