Den Satz oben schrieb ein Junge meiner P, kurz nachdem sie von ihrem Highschool-Jahr aus den USA zurück nach Deutschland kam. Das war 2020 und ich habe ihre Erlebnisse damals in einem kleinen Buch verarbeitet, hier.
Die Rückkehr hat ein bisschen länger gedauert als geplant. Fast auf den Tag genau vier Jahre nach ihrer Abreise zum großen Abenteuer flog sie zurück zu ihrer zweiten Familie. Vier Jahre! Ich weiß noch genau, wie ich 2019 meine Fünfzehnjährige verabschiedete und wie viele Tränen ich in den Tagen danach vergossen habe, sie dagegen keine einzige.
Der Flugplan in Buchstaben: FRA — ZRH — JFK + LGA — SYR.
Es fing alles ziemlich holprig an. Erst krachte ein Scheibenwischerblatt auf der Fahrerseite ab — mitten in der Nacht auf der Autobahn auf dem Weg nach Frankfurt zum Flughafen. Es regnete natürlich in Strömen. Perfektes Timing. Technik-Käpsele K hatte die Idee, den rechten Scheibenwischer ab- und an die Stelle des fehlenden Exemplars zu montieren. Grande. Die Fahrt konnte weitergehen.
Zwei Highlights im Flieger: Bei Swiss Air war das W-LAN umsonst — dafür wurde leider Salat mit Mais serviert, was P hasst, also letzteres. Schließlich in den USA angekommen, musste sie eeewig bei der Einreise warten (sie textete „Es ist krank viel los“ und ich saß hier zuhause wie auf Kohlen). Autoritäre Typen nahmen ihre Fingerabdrücke und fragten, was sie in den USA vorhabe und wie viel Geld sie bei sich führe. Das alles und das Gepäckholen plus die Fahrt (inkl. Stau, war ja klar) nach La Guardia dauerte so lange, dass sie schließlich tatsächlich den Anschlussflug verpasste, was vier weitere Stunden Wartezeit bedeutete (es sollte nicht der letzte Flieger bleiben, den sie verpasst). P blieb erstaunlich entspannt.
(„Fun“ Fact: Im Taxi von JFK nach La Guardia fand sie auf der Rückbank ein Portemonnaie. Sie gab es dem indischen Fahrer. Der meinte: „Oh, das muss der Dame gehören, die ich zuvor gefahren habe. Wo hatte ich sie nochmal hingebracht? Ach ja, Long Island.“ Willkommen im Malheur-Club, die arme Frau)
Am La Guardia-Flughafen musste P am Schalter ihre Misere schildern und den Flug umbuchen. Die Frau an der Gepäckaufgabe war besonders nett und erließ ihr — vermutlich unbeabsichtigt — die Gebühr für ihren schweren, riesigen Koffer (Maximalmaß ausgereizt bis zum Ende) und nannte P „Honey.“ Nach der ganzen Aufregung gönnte sich das Kind eine Pizza für rund 20 EUR. Der Flughafen sei schön, schrieb P, vom Gate habe man Sicht aufs Wasser.
Dann kam sie endlich, endlich am Ziel an, und es war alles gut. Omi fragte P aus der Ferne in der Familiengruppe: „Und — stimmt der Vibe?“ Ja, er stimmte. Ihre US-Familie meinte: „Du bist größer geworden. Und noch hübscher... Aber wo sind deine Curls?“ Drei Wochen bei der Gastfamilie waren geplant.
Der Vater hat versucht, P das Golf spielen beizubringen („Gar nicht so einfach!“). Sie waren auf einem Nascar-Rennen („Es war sooo laut!!“), beim Rodeo und im Kino („Ich hab mich so auf das Popcorn gefreut, das ist doch das beste am Kino! Und dann haben die nur gesalzenes. Nur diese eine Variante! Oh Mann. Dafür gab es Refill bei den Getränken“). Und sie haben ein Konzert besucht („Was hören sie dort für Musik?“ fragte ich — „Nur Country“). P wurde mit Cowboy-Hut von ihrer Schwester eingekleidet und sie fuhren mit einem Pick-Up, in den sechs Personen passen, zum Konzert: „Die Autos sind alle soo groß hier! Junge, du musst einen Spagat machen, um in diese Fahrzeuge einzusteigen!“. Der neue Hund hat jede Nacht auf Ps Bettende genächtigt (als sie abgereist war, hat er sich an die gleiche Stelle gelegt und gepienst, awww). Und mit ihrer Schwester ist sie per Pferd durch die weite Landschaft spaziert. P hat sogar an einem sogenannten „Barrel Race“ teilgenommen. Das ist ein Rennen, bei dem man um ein Hindernis (hier Fass) galoppieren muss und die schnellste Zeit gewinnt. Hilfeee. Jede Woche hat die Gast-Omi sie eingeladen zu einem Frühstück in einem Diner im Nachbarort: „Das ist bei denen wie ein richtiges Essen: Rührei, dazu Corned Beef und so eine Art Kartoffelpuffer, nennt sich Hash Browns.“
Sie haben den Geburtstag des Vaters gefeiert und P musste ihn aus dem Haus locken, damit der Rest der Familie eine Überraschung vorbereiten kann. Das ging so: Sie meinte zu ihm „Lass uns Angeln gehen.“ Und dann sind sie zum Pond gefahren und hatten dort sogar ein Boot und sind rausgerudert. Irgendwann meinte P: „Mir ist langweilig, ich hab genug, ich will wieder nach Hause.“ Der Vater war ganz perplex, weil er Spaß am Angeln hatte. P musste eine Ausrede erfinden, weil ja zuhause inzwischen die Gäste warteten. („Das war so schwer für mich. Ich kann einfach nicht lügen“.) Gefeiert wurde mit BBQ plus Feuerwerk. Tags darauf meinte meinte der Vater noch immer ungläubig zu ihr: „Also, das geht mir nicht runter, dass du zu mir gesagt hast, es ist langweilig.“ Hehe.
Knapp eine Woche vor dem gebuchten Rückflug rief P an, es gefalle ihr so gut, sie wolle noch nicht heim. Also den Flug umgebucht und um eine Woche verlängert. Klappte super.
Die Rückreise war ähnlich holprig wie die Anreise. Der Zubringerflug nach JFK wurde gestrichen. Es war ein ewiges hin- und hergechatte und irgendwann vermeldete die Lufthansa, sie könne den Flug von JFK nach FRA nicht mehr umbuchen, weil es nun zu spät sei. P musste einen neuen Flug kaufen. Und weil die zeitnahen Flüge viel teurer waren, als z.B. zwei Wochen später, buchte sie einen späteren Flug. Aus drei wurden so sechs Wochen Aufenthalt bei der Gastfamilie.
Ohne die ungeplante Verlängerung wäre P einiges entgangen z.B.: Ein Junge aus dem Freundeskreis der Schwester hat sie zum „Pasta-Dinner“ eingeladen: „Meine Mutter hat so viele Tomaten im Garten geerntet, das gibt eine gute Soße.“ Die Soße hat dann seine Mutter zubereitet (hahaha) und die Spaghettini kochte eine Freundin ab, die auch zum Dinner mitkam. Parmesankäse gab es erst gar nicht. P war amüsiert. Zum Trinken hatte der Junge einen Gewürztraminer gereicht. Sie sollte erklären, was das bedeutet, schließlich sei das ja ein deutscher Wein. Aber sie war ratlos (dafür bekam ich den Auftrag, zuhause auch mal Gewürztraminer zu kaufen). Verwundert war sie über das MoMa-Poster, das im Apartment an der Wand hing. P zu dem Jungen: „Wie kommst du dazu??“ Sie war deswegen so erstaunt, weil niemand der übrigen Freunde drüben auch nur im Entferntesten etwas mit Kunst am Hut hat. Der Freund: „Ich finde das Museum cool. Ich hab es besucht, als ich in New York City war.“ Lustigerweise arbeitet er auch in einem Museum — und zwar in nicht irgendeinem Museum, sondern einem ganz tollen: dem Herbert F. Johnson Kunstmuseum auf dem Campus der Cornell University. Wow, was für ein Bau! Am liebsten wär ich kurz rüber geflogen. Kunst allein ist ja schon cool, aber dieses Beton-Gebäude von Ieoh Ming Pei (er hat u.a. auch die berühmte Glaspyramide vom Louvre in Paris entworfen) am Hang über dem Cayuga Lake. Traumhaft. Als mir P den Link zu diesem Museum schickte, schrieb ich ihr, dass sie sich das unbedingt anschauen soll. Ich brauchte mehrere Tage, bis ich sie überzeugen konnte. Am vorletzten Tag ihres Aufenthalts schnappte sich P den Cherokee von ihrer Schwester und fuhr alleine (!) los („Ehm, die Verkehrsregeln sind teils ein bisschen anders als bei uns. Wenn an einer 4-way-stop-Kreuzung vier Autos stehen, gilt nicht rechts vor links, sondern der, der zuerst da war, darf fahren“). Und dann besuchte sie den Kollegen bei der Arbeit. (Humor hat er ja: Als P ihn aus Deutschland anrief, um ihr Englisch zu pflegen, sagte ich „Hallo Alex“ und er antwortete „Hello Mom“. Haha.)
Mit dem Heimflug klappte alles („So einen smoothen Flug hatte ich noch nie“) und wir konnten sie endlich, endlich in die Arme schließen. Noch am Flughafen, als sie auf das Gepäck wartete, googelte P nach Flügen für den Sommer 2024. Tags darauf wurde ein Schokoladenpaket nach Amerika geschickt und über das Oktoberfest 2024 gechattet, das auf dem Plan steht. Der Vater: „Can’t wait.“
PS:
Ich wünschte, ich hätte damals auch so ein Highschool-Jahr gemacht. Meine Eltern hätten mir das ermöglicht. Aber ich hatte nicht die Traute. Um so mehr freue ich mich heute für P. Diese zweite Familie hat sie für immer.
Wichtig zu wissen: Entgegen vieler Meinungen können sich so ein Erlebnis nicht nur „Reiche“ oder Stipendiaten leisten. Nein! Ps Highschool-Jahr damals wurde mit Schüler-BAföG finanziert. Ich wusste vorher auch nicht, dass es so was gibt. Sagt einem ja keiner. Jetzt wisst ihr Bescheid. Mehr Infos hier.
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